Widerlegbare Verschuldenshaftung: Verrichtungsgehilfe, § 831 BGB
- Tatbestand
- Verrichtungsgehilfe
- Geschäftsherr
- Unerlaubte Handlung des Verrichtungsgehilfen
- „In Ausführung der Verrichtung“
- Exkulpation
- Sonderprobleme
- Dezentralisierter Entlastungsbeweis, § 831 Abs. 1 S. 2 BGB
- Organisationsverschulden, § 823 Abs. 1 BGB
I. Tatbestand
1. Verrichtungsgehilfe
2. Geschäftsherr
Beachte: Die Haftung des Verrichtungsgehilfen (§ 831 BGB) oder des Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) entfällt nicht dadurch, dass der Geschäftsherr haftet.[3] Es handelt sich also nicht um eine Haftungsbefreiung bei beiden Normen, sondern um Normen, die dem Geschädigten zusätzlich einen Schuldner normieren (Gesamtschuld, §§ 840, 421 BGB).[4]
3. Unerlaubte Handlung des Verrichtungsgehilfen
Der Verrichtungsgehilfe muss eine unerlaubte Handlung rechtswidrig begangen haben.[5] Ein Verschulden des Verrichtungsgehilfen spielt keine Rolle, außer bei Tatbeständen, die Vorsatz erfordern, wie z.B. § 826 BGB (Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung) oder § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. einem Schutzgesetz (Vorsatzstraftat).[6] Der Grund, weshalb grundsätzlich ein Verschulden des Verrichtungsgehilfen keine Rolle spielt, liegt darin, dass § 831 BGB eigenes Verschulden des Geschäftsherrn sanktioniert.[7]
4. „In Ausführung der Verrichtung“
Ein unmittelbarer innerer Zusammenhang liegt dann nicht mehr vor, wenn der Verrichtungsgehilfe bei Gelegenheit gehandelt hat (wie beim Erfüllungsgehilfen, § 278 BGB).
Beachte:
Selbst ein bewusstes und eigenmächtiges weisungswidriges Verhalten unterbricht nicht den unmittelbaren inneren Zusammenhang.[9]
Ein Ausschlussgrund stellt die sog. Schwarzfahrt[10] dar. Beispiele für eine Gelegenheitstat sind der Diebstahl durch einen Verrichtungsgehilfen bei Malerarbeiten im Haus des Bestellers oder der sexuelle Missbrauch eines Patienten durch einen angestellten Physiotherapeuten.[11]
5. Exkulpation
Es wird einerseits eine Verschuldensvermutung angenommen, d.h. es wird vermutet, dass der Geschäftsherr den Verrichtungsgehilfen nicht sorgfältig ausgesucht und überwacht hat.[13]
Außerdem wird auch eine Kausalitätsvermutung angenommen, d.h. es wird vermutet, dass Pflichtverletzung des Geschäftsherrn kausal für die Schädigung geworden ist.[14]
Widerlegbar sind die Vermutung dadurch, indem der Geschäftsherr entweder beweist, dass er den Verrichtungsgehilfen sorgfältig ausgesucht und überwacht hat (§ 831 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB) oder dass der Schaden auch dann eingetreten wäre, wenn ihm kein Auswahlverschulden vorzuwerfen wäre (§ 831 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB – „rechtmäßiges Alternativverhalten“).[15]
II. Sonderprobleme
1. Dezentralisierter Entlastungsbeweis, § 831 Abs. 1 S. 2 BGB
In größeren Betrieben können Geschäftsführer und Vorstände nicht jeden einzelnen Mitarbeiter sorgfältig überwachen. Meistens werden dann Zwischenpersonen, wie z.B. Abteilungsleiter, eingestellt, die dies für sie übernehmen sollen. Verursachen dann Mitarbeiter des Unternehmens einen Schaden, können sich die Inhaber der Unternehmen exkulpieren, indem sie den sog. dezentralisierten Entlastungsbeweis führen.
D.h. sie können vortragen, dass sie die Zwischenperson sorgfältig ausgesucht und überwacht haben (§ 831 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 BGB) oder der Schaden sowieso eingetreten wäre (§ 831 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB).[16]
2. Organisationsverschulden, § 823 Abs. 1 BGB
Das Institut des dezentralisierten Entlastungsbeweises wird in seiner Reputation durch das sog. Organisationsverschulden geschwächt. Denn der Inhaber eines Unternehmens ist verpflichtet, seinen Betrieb so zu organisieren, dass keine Schäden bei Dritten entstehen (Verkehrssicherungspflicht: Organsiationspflicht).[17] Wir erinnern uns (Beitrag Verkehrssicherungspflicht), dass eine Haftung nicht entfällt, bloß weil eine Verkehrssicherungspflicht an jemand anderen delegiert wurde.[18] Vielmehr wandelt sich die Verkehrssicherungspflicht in eine Überwachungspflicht um.[19] Wird also die Organisationspflicht verletzt, liegt eine Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht vor, die eine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB begründen kann.[20]
- 831 BGB ist eine eigene Anspruchsgrundlage, § 278 BGB nicht![21]
- 278 BGB ist eine reine Zurechnungsnorm. Der „Besteller“ haftet für fremdes, zugerechnetes Verschulden eines Dritten.[22]
- 831 BGB normiert eigenes Verschulden indem der Geschäftsherr den Verrichtungsgehilfen nicht sorgfältig ausgesucht und überwacht hat (Auswahlverschulden).[23]
- Der Verrichtungsgehilfe ist weisungsgebunden, der Erfüllungsgehilfe nicht![24]
[1] Musielak, Grundkurs BGB, 10. Auflage 2007, Rn. 871; Wandt, Gesetzliche Schuldverhältnisse – Deliktsrecht, Schadensrecht, Bereicherungsrecht, GoA, § 18, Rn. 5; Zwickel, Der etwas andere Stromkabelfall …, ZJS 2010, 491 (495).
[2] Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 6.
[3] Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 7.
[4] Supra.
[5] Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 9.
[6] Supra; Zwickel, Der etwas andere Stromkabelfall …, ZJS 2010, 491 (495).
[7] Supra (Fn. 5).
[8] Wandt, (Fn .1), § 18, Rn. 11.
[9] BGH NJW, 1971, 31 (Anhänger-Fall); Siehe dazu auch BGH NJW 1965, 391 (Unerlaubter-Fahrgast-Fall); Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 11.
[10] Supra.
[11] Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 11.
[12] Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 13.
[13] Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 12.
[14] Supra.
[15] Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 13; Zwickel, Der etwas andere Stromkabelfall …, ZJS 2010, 491 (496).
[16] Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 15.
[17] Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 16.
[18] Supra.
[19] Supra (Fn. 17).
[20] Supra (Fn. 17).
[21] Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 4.
[22] Supra.
[23] Supra (Fn. 20).
[24] BGHZ 13, 111 (113); Wandt, (Fn. 1), § 18, Rn. 5; Looschelders, Schuldrecht Allgemeiner Teil, 14. Auflage 2016, § 23, Rn. 502.