Zulässigkeit der Berufung im Zivilprozess
Dieser Beitrag ist der erste aus einer Reihe von Beiträgen, die sich mit der Berufung im Zivilprozess beschäftigen. Zur Vertiefung und Wiederholung wird die Podcastfolge „Folge 31 – Rechtsmittelrecht Teil 1 (Berufung)“ von AG-Zivilrecht empfohlen. In diesem Beitrag geht es um die Zulässigkeit der Berufung.
Inhalt dieses Beitrages:
- Zulässigkeit der Berufung[1]
- Statthaftigkeit, § 511 Abs. 1 ZPO
- Einlegung (Form- und Frist), §§ 517, 519 Abs. 2 ZPO
- Begründung (Form- und Frist), § 520 Abs. 2, Abs. 3 ZPO
- Beschwer, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO
- Zuständigkeit
I. Zulässigkeit der Berufung[2]
1. Statthaftigkeit, § 511 Abs. 1 ZPO
Die Berufung findet gegen Endurteile der ersten Instanz statt, § 511 Abs. 1 ZPO. Darunter fallen auch
- Zwischenurteile, § 280 ZPO,
- Grundurteile, § 304 Abs. 2 ZPO,
- Vorbehaltsurteile, §§ 302 Abs. 3, 599 Abs. 3 ZPO,
- 2. Versäumnisurteil, § 514 Abs. 2 ZPO.
Ferner ist Voraussetzung, dass der Wert der Beschwer einen Betrag i.H.v. 600,00 EUR übersteigt oder die Berufung durch das erstinstanzliche Gericht zugelassen wurde (§ 511 Abs. 2 ZPO).
Letzteres ist der Fall, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Partei durch das Urteil mit nicht mehr als 600,00 EUR beschwert ist (§ 511 Abs. 4 ZPO).
2. Einlegung (Form- und Frist), §§ 517, 519 ZPO
a) Frist (Einlegungsfrist der Berufung, sog. Berufungsfrist), § 517 ZPO
Die Berufungsfrist beträgt einen Monat und beginnt mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils oder spätestens mit dem Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung. (§ 517 ZPO).
- Berufungsfrist = Notfrist, daher keine Verlängerung möglich!
- Bei Versäumung der Berufungsfrist an Wiedereinsetzung in den vorigen Stand denken! (§ 233 ZPO).
b) Berufungsschrift (Form der Einlegung), § 519 Abs. 2 ZPO
Richtet sich nach § 519 Abs. 2 ZPO:
- Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung des Urteils, gegen das die Berufung gerichtet wird und
- Die Erklärung, dass gegen dieses Urteil Berufung eingelegt werde, beinhalten.
3. Begründung (Form- und Frist), § 520 Abs. 2, Abs. 3 ZPO
a) Frist (Berufungsbegründungsfrist), § 520 Abs. 2 ZPO
Die Berufungsbegründungsfrist beträgt zwei Monate und beginnt mit der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils, spätestens aber mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung (§ 520 Abs. 2 ZPO).
- Berufungsbegründungsfrist = KEINE Notfrist, kann daher auf Antrag verlängert werden, wenn der Gegner zustimmt, § 520 Abs. 2 S. 2 ZPO.
- Ohne Zustimmung des Gegners kann die Frist bis zu einem Monat verlängert, wenn nach freier Überzeugung des Vorsitzenden der Rechtsstreit durch die Verlängerung nicht verzögert wird oder wenn der Berufungskläger erhebliche Gründe darlegt, § 520 Abs. 2 S. 3 ZPO.
b) Berufungsbegründung (Form der Begründung der Berufung), § 520 Abs. 3 ZPO:
Analog zur Klageschrift[5], zwingend enthalten muss die Berufungsbegründung die
- Berufungsanträge und
- Berufungsgründe
Berufungsgründe, § 513 Abs. 1 ZPO:
Erstinstanzliche Entscheidung beruht auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) oder die zugrunde zu legenden Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung (§ 529 ZPO).
Maßstab für das erfolgreiche Vortragen eines Berufungsgrundes ist § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 2 – 4 ZPO. Die Frage, ob die Berufungsgründe tatsächlich vorliegen, ist eine Frage der Begründetheit.[6]
Eine neue Tatsachenfeststellung ist im Rahmen von § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 3 ZPO möglich (lesen!). Beachte dabei auch § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO!
Im Falle von § 520 Abs. 3 S. 2 Nr. 4 ZPO (neue Angriffs- und Verteidigungsmittel) beachte § 531 Abs. 2 ZPO!
4. Beschwer, § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO[8]
Der Wert des Beschwerdegegenstandes muss 600,00 EUR übersteigen. In den folgenden Fällen ist der Wert unbeachtlich:
- wenn die Berufung durch das erstinstanzliche Gericht zugelassen wurde, [9]
- es sich um ein 2. Versäumnisurteil handelt, § 514 Abs. 2 S. 2 ZPO,
- bei der Anschlussberufung, § 524 ZPO.
5. Zuständigkeit
Für erstinstanzliche Urteile des Landgerichts sind die Oberlandesgerichte zuständig, § 119 Abs. 1 Nr. 2 GVG. Ansonsten für die Urteile der Amtsgerichte die Landgerichte, § 72 GVG.
Oberheim spricht von einer formellen Anknüpfung.[10] Schaue dir dazu § 513 Abs. 2 ZPO an!
Zuständig ist der gesamte Spruchkörper. Ein Einzelrichter ist ausnahmsweise alleine zuständig, sofern durch Beschluss der Rechtsstreit an einem Einzelrichter übertragen wurde (§ 526 ZPO) oder dies zur Vorbereitung dient (§ 527 ZPO).
Ist die Berufung unzulässig, so wird sie verworfen (§ 522 Abs. 1 ZPO), ist sie unbegründet, so wird sie zurückgewiesen (§ 522 Abs. 2 ZPO)!
Leseempfehlung: Hinrichs, Original-Examensklausur: „Berufung, die begeistert“, JA 2017, 289.
[1] Aufbau nach Oberheim, Zivilprozessrecht für Referendare, 14. Auflage 2021, Rn. 1514 ff.
[2] Von Amts wegen zu prüfen, § 522 Abs. 1 ZPO.
[3] Wulf, in: Vorwerk/Wulf, BeckOK ZPO, 45. Edition, Stand 01.07.2022, § 517, Rn. 16.
[4] Siehe oben (Berufungsfrist).
[5] Oberheim, Zivilprozessrecht für Referendare, 14. Auflage 2021, Rn. 1516.
[6] M.w.N. Oberheim, Zivilprozessrecht für Referendare, 14. Auflage 2021, Rn. 1516.
[7] OLG Naumburg, Beschluss v. 12.09.2019, Az.: 1 U 168/18, Rn. 28 ff.
[8] Dieser Punkt könnte auch bereits im Rahmen der Statthaftigkeit angesprochen werden.
[9] Oberheim, Zivilprozessrecht für Referendare, 14. Auflage 2021, Rn. 1517.
[10] Oberheim, Zivilprozessrecht für Referendare, 14. Auflage 2021, Rn. 1518.